Hallo liebe Leser,

heute mal etwas Persönliches: Ich war drei Tage lang in München und durfte in dieser Zeit im Bayerischen Landtag spionieren. Claudia Stamm, Landtagsabgeordnete der Grünen, hat sich meiner angenommen und mich hinter die Kulissen geführt. Dabei zeigte sie mir die wichtigsten Stationen wie den Arbeitskreis, die Fraktionssitzung, den Ausschuss und das Plenum.

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Bayerischer Landtag – Wortgefechte gehören zum Alltag

Ich könnte jetzt anfangen zu erklären, wie der Landtag im Allgemeinen funktioniert, wer wofür zuständig ist etc., doch das könnt Ihr genauso gut hier nachlesen. Von meiner Tour durch den Landtag mit Frau Stamm habe ich Spannenderes zu erzählen.

Im Plenum – das ist die Vollversammlung, in der alle drinsitzen, die besprochenen Anträge durchgehen und abstimmen – ging es mit dem immerwährenden Thema „Entkriminalisierung von Cannabis“  – für mich überraschend – heiß her. Leider hört man in diesem Video nicht die Lacher und Kommentare aus dem Publikum.

Zwischenrufe gehören ebenso wie Unmutsbezeugungen zum politischen Alltag – vor allem innerhalb solcher Sitzungen – das hat System. Nehmen wir die aktuelle Flüchtlingsdebatte als Beispiel.

Am ersten Tag meines Besuchs fuhr Claudia Stamm nach Simbach, das an der Grenze zu Österreich liegt. Dort warteten 200 Flüchtlige vor den Toren bzw. auf der Brücke und das seit 24 Stunden ohne nennenswerte Betreuung. Manche sprangen in den Inn, um an das deutsche Ufer zu gelangen Die Regierung war mit der Situation offenbar überfordert.

Also sprachen die Grünen das Thema im Plenum sofort an und appellierten an die CSU, dass sie doch die Ankömmlinge dort endlich abholen sollen und es nicht sein kann, dass die regierende Partei unfähig ist, das Ganze ordentlich zu organisieren. Dazu käme noch, dass es sich auf der Brücke hauptsächlich um Frauen und Kinder handelte und diese ohne Decken die Nacht verbringen mussten, da die Erstversorgung versäumt wurde.

Die CSU feuerte darauf sofort zurück und merkte an, dass das Problem nicht solche Einzelfälle wären, sondern die Kommunikation mit Österreich nicht so funktioniert, wie sie sollte. Es wurde vorher mit Österreich vereinbart, dass an Ort X 1000 Flüchtlinge mit Bussen abgeholten werden, an Ort Y 1800 und so weiter. Wenn diese Vereinbarungen immer eingehalten werden würden, würde es nicht zu solchen Zuständen wie in Simbach kommen. In der Realität allerdings wurden an Ort X 1050 (ok, ist noch im Tolleranzbereich) und an Ort Y gleich 2800 Flüchtlinge geschickt, was nicht auf die Schnelle in den Griff zu bekommen ist.
Jetzt denkt man als Zuhörer: Ok, da gebe ich der CSU recht, da können sie wirklich nichts dafür, also größtenteils Applaus beim Redner der CSU. Zwischendurch natürlich trotzdem Buh-Rufe von der Opposition, die natürlich diese Information nicht hatten. Und jetzt kommt der Knackpunkt: Wer Informationen hat, hat die Macht. Der CSU Chef kann schnell die richtige Person bei der Bundespolizei anrufen und um aktuelle Lageschilderung bitten und dann  am nächsten Tag im Plenum der Opposition sowas sagen wie „Machen Sie doch erst mal Ihre Hausaufgaben“. In diesem konkreten Fall Simbach war aber auch die CSU über die prekäre Lage überrascht.

Diese Sticheleien und Provokationen in den Versammlungen gehören zum alltäglichen Politikgeschäft einfach dazu, da das System nun mal parteiisch ist und jeder versucht, seine Positionen zu vertreten, um am Ende die meisten Wählerstimmen zu erhalten. Für die Bevölkerung wäre ein Informationsaustausch zwischen den unterschiedlichen Parteien natürlich viel angenehmer, da man nicht so sehr in einer Glaubenskrise stecken würde. Jedoch würde sich so ein versöhnliches Verhalten der Parteien stark auf ihre eigene Politik auswirken, und das will keine Partei.

Claudia Stamm – Ui ui ui

Ich muss hier betonen: Ich bin sehr glücklich darüber, dass mir Frau Stamm zugewiesen wurde. Im Vorfeld habe ich ihre Person natürlich gegoogelt, ein paar Artikel und Videos angesehen. Wer selbst nachlesen möchte, hier ein aktueller und guter Artikel der Süddeutschen Online.

Mein erster Gedanke war – Ui, die Frau hat ordentlich Rückgrat und hat auch noch Ahnung von den Themen, mit denen sie sich beschäftigt. Dieser Gedanke wurde dann auch während meines Ausfluges mehrfach bestätigt. Am ersten Tag im Arbeitskreis der Grünen hat sie beispielsweise alle davon überzeugt, was ich sehr gut fand, das Thema „Bildungsbudget für Asylsuchende“ von Februar auf Januar vorzuverlegen, auch wenn es ein paar Millionen mehr kostet. Ich bin zwar allgemein der Auffassung, dass die meisten Politiker ziemliche Workaholics sind, Frau Stamms Einsatz habe ich allerdings sogar als leicht übermenschlich empfunden, ich habe sie keine Sekunde beim Relaxen erwischt. Wenn sie mal nicht ihrer „normalen“ Arbeit im Landtag nachging, dann beantwortete sie E-Mails, SMS, mischte sich auf Facebook in Flüchtlingsdiskussionen ein und suchte ständig den Dialog mit der Bevölkerung. Das Besondere an ihrer Art ist – entgegen der Meinung vieler, wenn’s um Politiker geht – sie scheint das wirklich ehrlich zu meinen, was sie sagt und was sie tut. Profilierung würde ich persönlich Frau Stamm nicht unterstellen. Immer dran denken, liebe Claudia Stamm, überarbeiten Sie sich bitte nicht – Sie werden noch länger in der Politik gebraucht 😉

Interessante Facts

  • Der Bayerische Landtag ist – so wurde es mir zumindest dort erzählt- der einzige, in den man als „Normalsterblicher“ ohne besondere Voranmeldung einfach reinkommt
  • Das Plenum wird immer auf Video aufgezeichnet und ist online für alle abrufbar (Link dazu) – Bundestag und andere handhaben das aber auch so
  • In den Arbeitskreisen und Fraktionssitzungen wird tatsächlich im Interesse des Volkes sachlich diskutiert
  • Persönlich hat mich die Opposition (das ist die, die immer überstimmt wird 🙂 ) beeindruckt, die immer wieder Anträge stellt, die sowieso nicht angenommen werden, da die CSU nun mal mehr Macht hat. Natürlich auch mit dem Hintergrund, dass man vielleicht in ein paar Jahren sagen kann: Das haben wir doch damals schon gesagt!
  • Außer mir waren noch ca. 25 weitere Leute da, die jeweils einen Abgeordneten begleiten konnten und auch diese waren der Meinung, dass Politiker allgemein viel arbeiten und sich sehr für Volksinteressen einsetzen.

Das war es nun zu meinem interessanten Ausflug nach München in den Bayerischen Landtag, bei dem ich viel an Erfahrung mitnehmen konnte. In diesem Sinne möchte ich mich hier noch einmal ganz herzlich bei Frau Stamm bedanken, die mich so offen empfangen hat und sich viel Zeit für mich genommen hat. Außerdem geht mein Dank auch das Team WJ München, die das Ganze ermöglicht haben!

Wenn ihr irgendwelche Fragen diesbezüglich an mich habt, ich beantworte sie gerne!

Ich wünsche euch allen noch eine schöne Woche und bis zum nächsten Beitrag!

Comments (1)

Marina Levitskaja

Nov 05, 2015 at 9:36 AM Reply

Sehr informatiever und lebendiger Beitrag!
Ich hatte ein Gefühl, dass ich dabei war. Es scheint, dass die Politiker mehr Lob verdienen als das Gegenteil, das ich bis jetzt vermutet habe.
Danke schön für sehr interessante Informationen!

Marina Levitskaja
Heilpraktikerin

http://www.heilpraktikerinnuernberg.de

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